Heiße Filme, kalter Krieg

Als Berliner Kinos den Kampf der Systeme entschieden

Als die Mauer gebaut wurde, war Schluss mit den Grenzgängern. Für den besseren Film ging keiner mehr nach drüben. Das Programm der Kinos an der Sektorengrenze ist legendär und die Erinnerung an heiße Filme im kalten Krieg bei vielen noch wach. Für den RBB-Kulturtermin hat sich Nicolaus Schröder auf Spurensuche begeben.

Manuskript:

Take 1 aus: Sonntagabend zu Haus: In Berlin, in der Nacht, in den Straßen, SFB, 26.10.1957

Slowfox

Sprecher über Take 1 (Musik)

Berlin 1950, die Stadt ist in vier Sektoren geteilt. Drei Westsektoren, deren Grenzen verschwimmen, ein Ostsektor, der sich separiert: Eigenes politisches System, eigene Währung, Zollkontrollen. Aber die Grenzen sind offen. Täglich pendeln Tausende von Ost nach West und von West nach Ost. Das hat Vorteile. Wer zum Beispiel im Osten lebt und im Westen arbeitet, bekommt seinen Lohn zum Teil in Westgeld ausgezahlt, das ist im Osten acht Mal soviel Wert. Dafür sind im Osten Grundnahrungsmittel und Dienstleistungen günstiger.

Atmo 1: Verkehr 50er Jahre Ku’damm zu der Musik aus Take 1

Weiter Sprecher über Musik/Atmo

Der Kampf der Systeme – nirgendwo wird er verbissener geführt als in Berlin. Wenn Ostberlin stolz ist auf Museen, Theater und den Pomp der Stalin-Allee, kontert Westberlin mit Ku’damm, Glamour und Kommerz. Der Hochkultur Ost wird Nightlife West entgegengesetzt.

Take 1 aufblenden

Slowfox /wechselt in Boogie

Kunde in Nachtclub mault: Hab Sie verstanden. Aber er hat mir doch gesagt, dass es hier bei Ihnen Heroin gibt.

Bardame genervt: Hat er Ihnen gesagt, so, so. Und nun wundern Sie sich, dass hier niemand mit nem Bauchladen durchs Lokal läuft und ruft: Heroin, Kokain, Marihuanazigaretten mit und ohne Filter, Morphium, saure Drops und Ansichtskarten.

Kunde: Ich bitte Sie, er hat mir gesagt, dass ich es hier bekomme und Sie werden ja wohl wissen…

Bardame:… was die Polizei auch schon weiß wie? Ich weiß gar nichts! Reden Sie doch mal mit dem Chef. Ich bin hier nur angestellt und kann Ihnen überhaupt nichts sagen, schon gar nichts über solche Sachen.

(Wechsel zu Slowfox-Thema)

Sprecher über Musik aus Take 1

Westberlin das Sündenbabel, so verrucht wie die Reeperbahn und so schick wie die Champs-Elysées, so jedenfalls wurde die Stadt damals in einem SFB-Hörspiel inszeniert. Für soviel Oberflächlichkeit hatte man in Ostberlin gar kein Verständnis. Hier hatte man die wirklich drängenden Fragen im Blick – das behauptete wenigstens die Wochenschau in schöner Regelmäßigkeit. Im Juli 1951 gab es einen ganz besonderen Anlass zum Jubel.

Take 2 Archiv DDR-Augenzeuge 1951

Sprecher über Fanfarenzug: Die Jugend der Welt ist aufgebrochen, ihr Ziel ist Berlin, ihr Ziel sind die dritten Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Ihr Ziel ist die Freundschaft unter den Völkern, ihr Ziel ist der Friede. „Freundschaft!“, „Drushba!“, „Amice!“, „Friendship!“ in allen Sprachen flog dieser herrliche Gruß der Freien Deutschen Jugend hin und her.

Take 3 Döhler über Fanfarenmusik aus Take 2

Es gab halt die Jugendfestspiele in Ostberlin, die insofern für Ostberlin aus dem Ruder liefen, weil nicht der Effekt eintrat, dass jetzt die ganze westberliner Jugend nach Ostberlin zu den Weltspielen ging, sondern umgekehrt die ganzen ostberliner Besucher diese Gelegenheit genutzt haben, in Westberlin quasi einzufallen, und halt auch komplett alle Kinos zu bevölkern. Es muss also wirklich eine totale Absatzbewegung gewesen sein während dieses Festivals.

Sprecher über Musik aus Take 2

Alle Trommelei, Fanfarenzüge und Volkstanzgruppen konnten den anhaltenden Strom des Festspielpublikums in die Westsektoren nicht aufhalten. Und Westberlin war vorbereitet mit einem Programm, dass besser war als alle Paraden und Parolen.

Take 4 Archiv RIAS Aug. 1951

Sprecher 1: Nachdem wir am Sonnabend die FDJler, die das freie Berlin besuchen wollen, über eine Aufenthaltsmöglichkeit in westberliner Jugendheimen informierten, empfehlen wir ihnen heute die Filmveranstaltungen zu besuchen, die für Sie in Westberlin bei kostenlosem Eintritt gezeigt werden.

Sprecher 2: Sie sollen hier sehen, dass Kunst nicht nur ein Mittel zur Beeinflussung der breiten Masse ist, sondern vor allem eine eigengesetzliche Arbeit, die nach alten jahrhundertlangen Gesetzen besonders in der freien Welt nach freien Gesetzen wirksam ist.

Sprecher

„Freie Welt“, „freie Gesetze“ überhaupt „Freiheit“ – die Organisatoren drückten kräftig auf die Tube. In Sachen Freiheit wollte sich in Westberlin niemand überholen lassen – von der Freien Deutschen Jugend schon gar nicht.

Take 5 Döhler

Zumindest halt wurde irgendwann mal gesagt, gut wir wollen mit den Kinos die Werte des freien Westens halt, Demokratie, Humanität, Toleranz, das wollen wir der kommunistischen Ideologie entgegensetzen und nichts geht da besser als über die Kinogeschichte. Und mit diesem politischen Ansatz wurde dann die Idee der Grenzkinos dann 1950 angeschoben.

Sprecher

Der Kinomacher Andreas Döhler ist auf die Grenzkinos durch die Geschichte des LIDO in Kreuzberg gestoßen. Heute ist hier ein Musikclub, früher probte in den Räumen in der Cuvrystraße einmal die Schaubühne. Davor war das LIDO jedoch ein beliebtes Kino, das besonders Zuschauer aus dem nahen Friedrichshain und Treptow anzog. Als genehmigtes Grenzkino konnte das LIDO verbilligt Karten an Ostzuschauer ausgeben. Denn schon wenige Tage nach den Jugendfestspielen hatte der Publikumsansturm aus dem Osten die Kulturverantwortlichen im Westen auf den Plan gerufen.

Take 6 Döhler

Die ursprüngliche Idee, die Grenzkinos entstehen zu lassen, die geht ja auf Oscar Martay zurück, dessen zwei großen Leistungen damals waren zum einen eben die Berlinale an den Start zu bringen und zum andern auch dieses Projekt „Grenzkinos“ zu forcieren.

Atmo 2 anlaufender Projektor

Take 7 O-Ton aus Wochenschau 1950 mit AT1 Projektorgerappel mischen

Sprecher über Wochenschaugegeige: Das sind Ostberliner, die in Scharen in die Westsektoren der Stadt kommen, um einen Blick in die andere Welt zu tun. Verschiedene Westberliner Kinos bieten ihnen jetzt Eintritt zu ermäßigten Preisen in Ostgeld. Der Andrang ist groß. Ein Film und Wochenschauprogramm vor dem Eisernen Vorhang ist äußerst aufschlussreich für Alle, die Kunst, Unterhaltung und Weltgeschehen ohne die rote Parteibrille betrachten wollen.

Atmo 2 (Projektor)

Sprecher über Atmo 2

Doch Oscar Martay, der Filmoffizier der amerikanische High Commission for Occupied Germany, scheint nicht allein auf die Idee mit den Grenzkinos gekommen zu sein. Andreas Döhler glaubt, dass Martays Freund Friedrich Wilhelm Foss dem Propagandaoffizier den entscheidenden Tip gab. Foss betrieb in Ostberlin das ALADIN und im Westen, am Potsdamer Platz, die TAGESLICHTSPIELE CAMERA. Was er im Osten nicht spielen durfte, zeigte er im Westen. Das Geschäftsmodell funktionierte so gut, dass Foss am Potsdamer Platz bald noch ein weiteres ALADIN aufmachte. Eine Subvention beim Programm kam nicht nur Kinounternehmer Foss sehr gelegen. Um Grenzkino-Status und Erstattung aller Sonderkosten konnte sich bewerben, wer ein Theater in Grenznähe hatte.

Wedding, Kreuzberg, Neukölln, Buckow oder Zehlendorf – im Sommer 1950 entstanden überall neue Grenzkinos.

Take 8 Andreas Döhler über Musik aus Take 1

Ich dachte immer, LIDO, na die dachten vielleicht an Paris, oder Venedig oder so. Aber LIDO ist so klassisch wirklich noch die Abkürzung für „Lichtspiele des Ostens“. Irgendwie stimmt es schon, die hatten wunderbare Namen GABRIELA, VALENCIA, halt also schon eher ungewöhnliche Kinonamen, ORION, also es ging schon in Richtung, ja, wir wollen ein bisschen Glamour, zu den Sternen, kinopalastmässig, zumindestens ein bisschen nachempfinden.

Sprecher

Ein bisschen Glamour, aber nicht zuviel. Aktuelle Hits, feierliche Premieren und Starauftritte blieben den Ku’dammkinos vorbehalten.

Take 9 ArchivRIAS.08.51

Was wir hier also bringen ist mehr oder weniger doch nur das, was sie Tag für Tag, Woche für Woche immer hier in Berlin sehen können. Und dennoch sind wir überrascht feststellen zu müssen, wie stark dieses unser normales Leben gerade auf die Besucher aus dem Osten wirkt.

Sprecher 2: Herr Jaede(?) gehen wir doch gleich ins Programm, welche Filme haben Sie vor allem rausgesucht und wo laufen sie an?

Jaede: Wie Herr Metzner schon sagte erstmal im FILMSTUDIO drei Sonderveranstaltungen, LA BELLE ET LA BETTE, DAS BOOT DER VERDAMMTEN und KINDER DES OLYMP. Weiterhin stehen sämtliche Filmtheater Westberlins den FDJlern kostenlos zur Verfügung. Und sie können sich sämtliche Filme ansehen, die in normalen Filmveranstaltungen gezeigt werden.

Sprecher

Was für die FDJler während der Jugendfestspiele noch umsonst war, bekamen Inhaber eines DDR-Ausweises ab Juli 1950 stark verbilligt zu sehen. 25 Pf kostete die Kinokarte.

Die Grenzkinos wurden ein voller Erfolg. Im August 1950 sieht sich ein Journalist des „Tagesspiegels“ im Publikum um.

Sprecher/Zitat

Manche Grenz-Kinos haben schon ihre Stammgäste. Leute, die ein paar Straßen weiter im sowjetischen Sektor wohnen. Jedoch der größte Teil des Publikums kommt von weit her. Jeden Tag sind es neue Gesichter, oft auch Bauern aus Ortschaften der sowjetischen Zone. Zumeist wirken sie abgespannt, wenn sie die Kinos betreten. Aber nach der Vorstellung merkt man es ihren Gesichtern an, dass es ihnen Freude bereitete, wieder einmal einige Stunden unbefangen verbracht zu haben.

Atmo 3 Sender suchen in einem alten Röhrenradio

Weiter Sprecher über Atmo

Die 50er Jahre sind die Blütezeit des Kinos. Die Unterhaltungselektronik einer Familie beschränkt sich auf das Röhrenradio im Wohnzimmer, einen Plattenspieler haben die wenigsten. 1950 ist Ingrid Gärtner 14 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Familie am Prenzlauer Berg, einem Arbeiterbezirk mit wenigen Attraktionen.

Take 10 Gärtner

Alle hatten wenig Geld und die Leute haben sich zu Hof-Festen getroffen. Ich bin also zu x Hof-Festen immer gegangen. Zu der Freundin und zu der Freundin und in der Klasse, wir waren über 40 Schüler in der Klasse, das ist ja ne ganze Menge. Und da fand einiges statt, oder im Betrieb nachher, das waren ganz, ganz viele Veranstaltungen in den Kulturhäusern. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mehr als zwei oder drei mal in ein öffentliches Tanzlokal gegangen bin. Die Angebote für uns waren von der Schule, später von der Fachschule oder vom Betrieb dann da für Unterhaltungszwecke. Natürlich wir sind sehr viel ins Kino gegangen und ins Metropol, weil ich ja an der Schönhauser Allee wohnte, Metropol Theater, .. da ist jetzt das Collosseum drin.

Sprecher

Das Metropol Theater war eine Operettenbühne. Große Betriebe hatten in der DDR Patenschaften mit Theatern. Die Eintrittspreise wurden subventioniert. 3 Ostmark kostete eine Karte im Friedrichstadtpalast.

Take 11 Gärtner

Ich glaube das war typisch für die Zeit nach dem Krieg, dass man auf .. leichte Unterhaltung stand. Und auch die im Metropol Theater und Friedrichstadtpalast, das war einfach die leichte Unterhaltung. Und die Filme, die wir uns angesehen haben, waren nicht etwa die Psychodramen oder so was, nee, nee, also ablenken sozusagen, fröhlich sein, Musikfilme.

Sprecher

Die kleine Spielfilmproduktion der DEFA konnte den Unterhaltungshunger des DDR-Publikums nicht stillen. Das Kinoprogramm Ost war eine traurige Veranstaltung. Michael Hanisch wuchs in der sächsischen Provinz auf.

Take 12 Hanisch

Es liefen einige wenige französische, italienische Filme, es liefen einige westdeutsche Filme und vor allen Dingen und das war ein ständiges Thema in der ostberliner Presse, vor allem liefen alte Ufa-Filme, Ufa-Unterhaltungsfilme und das war eigentlich ein Dorn im Auge der Ideologen, denn dass die DDR-Bevölkerung mit Ufa-Ware unterhalten wurde das war ja nun nicht so angenehm, aber sie wussten, die Leute wollten unterhalten werden.

Sprecher

Goldene Zeiten für Kinos an der Sektorengrenze. Trotzdem oder gerade deshalb wurde öffentlich immer wieder die Demokratie fördernde Wirkung der Grenzkinos herausgestellt.

Take 13 RIAS.08.51

Und ich glaube, dass auf diese Art und Weise vielleicht auch noch besser Propaganda letzten Endes gemacht wird für die westliche Welt. Aber nicht gewollte Propaganda sondern eben eine Propaganda durch die Kunst.

Besucherin: Mich interessieren am meisten Filme, die hohen künstlerischen Wert haben, und darum freue ich mich besonders, dass die FDJler Möglichkeit haben jetzt in Berlin französische Filme zu sehen, denn es ist wohl ohne Zweifel die beste Filmproduktion augenblicklich. Und wir wissen ja alle aus eigener Erfahrung welche bösen Folgen es haben kann, wenn wir kulturell abgesperrt werden.

Take 14 Film OT Katharina Valente und Peter Alexander mit „Eine wie Du…“ aus: BONJOUR, KATHRIN Karl Anton, Deutschland 1959

Sprecher über Take

Doch der Grenzkino-Alltag hatte mit den hehren Zielen seiner Erfinder bald nichts mehr zu tun.

Take 15 Gärtner über Take 14

Im Haus hatte meine Mutter eine Freundin und die kam dann runter und gesagt, „Also Trude, das müßt ihr Euch, das war ja soo lustig!“ Peter Alexander natürlich und Katharina Valente, „das müsst Ihr Euch ansehen!“ Natürlich würde ich heute sagen, Ein totaler Schinken! Also ich würde heute den Fernseher ausmachen, wenn so was läuft nicht. Aber damals war das, oh wir waren so selig. Das war so schön!

Take 14 Valente/Alexander aufziehen

Sprecher über Musik

HEIDESCHULMEISTER UWE KARSTEN; DIE MÄDELS VOM IMMENHOF oder eben BONJOUR, KATHRIN mit Peter Alexander und Katharina Valente – die großen und weniger großen Erfolge des westdeutschen Unterhaltungskinos liefen, wenn auch Monate nach ihrer Premiere, im Grenzkino. Michael Hanisch:

Take 16 Hanisch über Musik

Ich wollte, ganz am Anfang die Nouvelle Vague Filme sehen, die konnte man aber nicht in den Grenzkinos sehen, denn die Grenzkinos spielten nur Unterhaltungs-, reine Unterhaltungsfilme und das waren deutsche Unterhaltungsfilme beziehungsweise vor allen Dingen amerikanische Western, Kriminalfilme. Aber die Nouvelle Vague, die damals begann, sie wurde da nicht gezeigt, da musste man schon zum Kurfürstendamm gehen. Ich weiss noch das ich sehr enttäuscht war, in den Grenzkinos immer nur Western, Western, Western, aber wo kann ich HIROSHIMA MON AMOUR sehen?

Take 17 Film-OT HIROSHIMA MON AMOUR

Sprecher über Take

Die Filme von Alain Resnais, François Truffaut, Louis Malle und Jean-Luc Godard suchte man im Grenzkino vergebens. Für die damalige Avantgarde war hier kein Platz. Der kulturelle Auftrag, den die Grenzkinos zu erfüllen hatten, war ein durchaus politischer. Es galt Werte zu vermitteln, klare Botschaften. Gut und böse, richtig und falsch in übersichtlicher Anordnung. Das Hinterfragen althergebrachter Ansichten, das Experiment gehörte jedenfalls nicht dazu. Schlagerfilme und Western aber genauso wenig.

 

 

Take 17 Musik ausblenden weiter Sprecher

Take 18 Döhler

Es gab ja diesen sehr klar politisch formulierten Auftrag, welche Filme da zu sehen sein sollten, welche Botschaften da rüber gehen sollten. Stellte sich nur relativ schnell heraus, halt, ich meine Kinomacher haben auch irgendwie ein gewissen Geschäftssinn, dass gerade das ostberliner Publikum eben nicht alle Filme goutiert hat. Das heißt eben die Filme, die dann doch eben sehr bemüht politischen Anspruch hatten, wurden dann eher so links liegen gelassen. Und das führte zu sehr, sehr heftigen Auseinandersetzungen auf verschiedenen kulturbehördlichen Ebenen, weil dann doch eben recht früh kritisiert wurde, dass das Programm dort immer niveauloser wird, dass dann nur noch „Schieß- und Radaufilme“ gezeigt werden.

Sprecher

Im Dezember 1954 informierte das Büro für gesamtberliner Fragen Bürgermeister Walther Schreiber (CDU) über den Missstand.

Sprecher/Zitat:

„Das … ständig weiter abgesunkene Niveau der Spielfilme in den Grenztheatern hat … die verantwortlichen westberliner Stellen nachgerade in der Verruf gebracht, das Zurschaustellen kulturell minderwertiger Filme zu forcieren. Abgesehen von dem Gehalt der dort zur Vorführung gelangenden Filme entspricht das Publikum zurzeit in keiner Weise den politischen Vorstellungen Westberlins, da es sich hierbei … zumeist um arbeitsscheue Elemente und herumlungernde Jugendliche handelt. …

Es kann jedoch nicht verkannt werden, dass die Hauptschuld an diesen Missständen die Besitzer der Grenzkinos selbst trifft, die sich inzwischen auf das oben angeführte Publikum eingestellt haben und bemüht sind, durch das Vorführen minderwertiger Wildwest-und Kriminalfilme den Besuch im Fluß zu halten, ganz abgesehen davon, dass ein großer Teil der Grenztheater mit erheblichem Gewinn arbeitet.“

Sprecher

Das Publikum bestand nicht aus FDJlern, die mit blauem Halstuch und gescheiteltem Haar auf humanistische Erweckungserlebnisse warteten, sondern aus Hausfrauen, Rentnern und Schülern, die am Nachmittag Zeit und Lust hatten, sich im nahen Kino bei günstigem Eintritt unterhalten zu lassen. Dass das ein viel politischerer Schritt war, als man es sich im Büro für gesamtberliner Fragen vorstellen konnte, machte schon die Rückfahrt von solchen Kinoexkursionen in den Westen deutlich.

Take 19 Gärtner

Natürlich haben die kontrolliert. Auch wenn man ganz wenig eigentlich bei hatte. Also ein kleines Täschchen nur, irgendwie man muss ja sein Taschentuch und Portemonnai und sowas alles mitnehmen. Dann waren die schon nicht gerade sehr nett. Und wir haben das als jüngere Mädchen, meine Schwester, zwei Jahre jünger als ich, wir haben das als jüngere Mädchen also festgestellt, wenn wir die Mutter dabei hatten, war das nicht so schlimm, aber wenn wir alleine waren, dann haben die natürlich gewusst mit uns können sie anders umgehen als mit wirklich mit Erwachsenen.

Sprecher

Die Kontrollen an den Übergängen gehörten zu den kleinen täglichen Schikanen. Viel unangenehmer waren die Selbstverpflichtungen, die in Betrieben und Schulen üblich waren. Ingrid Gärtner arbeitete später als Bibliothekarin. Ende der 50er Jahre besucht sie eine Fachschule. Wie schon während der Schulzeit, werden auch hier die Schüler zu Selbstverpflichtungen angehalten.

Take 20 Gärtner

Wir haben auch uns hoch und heilig verpflichtet, den RIAS nicht zu hören, ja aber unterschrieben haben wir auch, dass wir nicht ins Kino gehen oder dass wir nicht nach Westberlin und wir haben es trotzdem gemacht, klar. Wir haben so manches unterschrieben.

 

Sprecher

Michael Hanisch studiert in diesen Jahren an der Filmhochschule in Babelsberg.

Take 21 Hanisch

Man darf das nie vergessen, dass ist ja irgendwie der Wahnsinn, der im System der DDR lag. Es sind Filmstudenten, die wollten sich informieren, was ist in der Welt los, was gibt es für Filme und das wurde ihnen verboten, aber so schitzophren war die Situation damals. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich mit einem Dozenten, mit einem später sehr bekannten Filmkritiker unterhalten habe und erzählte, dass ich in Westberlin das und das gesehen habe. Da hat der eigentlich sehr kluge Dozent gesagt: Ja, das interessiert uns aber nicht! Also man war so, was da drüben ist, das interessiert nicht.

Sprecher

Die Kinos in Westberlin waren viel zu verlockend, als dass man mit Verboten und Kontrollen den Zuschauerstrom aus dem Osten begrenzen konnte. Egal, was für Filme in den Grenzkinos gezeigt wurden, die hysterische offizielle Reaktion auf die Westvorführungen forderte den Widerspruch geradezu heraus. Was ist das für ein System, das verbieten will, Western zu sehen?

Aber war es umgekehrt nicht möglich, mit Filmen, die im Westen nicht zugänglich waren, in einem ostberliner Kino ein attraktives Programm anzubieten?

Take 22 Hanisch

Als die Grenzkinos in Westberlin eingerichtet wurden im Julei 1950, kurze Zeit darauf versuchte man auch so etwas in Ostberlin. Also in Westberlin in den Grenzkinos wurden Unterhaltungsfilme (14:44) gespielt, in Ostberlin spielte man was ganz anderes, da spielte man den schon damals den etwas älteren DEFA-Film EHE IM SCHATTEN, oder den polnischen Film von Wanda Jakubowska DIE LETZTE ETAPPE, über das KZ Auschwitz, also Filme, die aufklären sollten, und na ja, das war das unterschiedliche Konzept und in der offiziellen Sprachregelung in der DDR-Presse hießen die Leute, die in Westberlin wohnten und nach Ostberlin kamen und Sympathie für den Osten haben, das hieß ja „Friedensfreunde“. Unsere Friedensfreunde kommen rüber und sehen sich bei uns diese Filme an. Das war ein etwas sehr hilfloser und nicht sehr erfolgreicher Versuch auch den Grenzkinos etwas entgegenzusetzen.

Take 23 Film OT aus DER TEUFEL SPIELTE BALALAIKA

Sprecher über Take (Balalaika-Musik)

Nur wenige Filme, die in Grenzkinos gezeigt wurden, waren in der DDR so offensichtlich unspielbar wie Leopold Laholas DER TEUFEL SPIELTE BALALAIKA mit dem jungen Götz George. Bei der Geschichte in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager, taucht nicht nur ein deutscher kommunistischer Menschenschinder auf, sondern auch eine humanistisch gebildete Dolmetscherin der Roten Armee, die Mitgefühl mit den seit Jahren inhaftierten Wehrmachtssoldaten hat. Der heute vergessene Film hat durchaus differenzierte Charaktere und begeistert mit hervorragenden Schauspielern.

Take 23 aufziehen Film OT aus DER TEUFEL SPIELTE BALALAIKA

Götz George: Wieder ein Tag, 23. März 1950, und wieder mal Frühling. Bei uns ist tiefster Frieden. Na, ja, und die alte Gundle steht bestimmt schon wieder mit ihren Veilchen an der, Gott wie heißt denn die Ecke, die Rabestraße, dann kommt die, Mensch wie heißt denn die Ecke…. (Musik wieder lauter)

Sprecher über abgeblendeter Musik

Am Abend des 12. August 1961 stand der Film im Lido in der Cuvrystraße auf dem Programm. Die letzten Zuschauer müssen gerade wieder zu haus gewesen sein, da wurden im Ostsektor der Stadt die Stacheldrahtrollen ausgeroll. Der Bau der Berliner Mauer begann.

Take 24 Döhler

Diese Kinogeschichte der 50er Jahre ist konkret eben durch den Mauerbau sehr nachhaltig verändert worden, weil eben viele Kinos dann schließen mussten, die halt 80/90% von ostberliner Kinopublikum gelebt haben.

 

Take 25 Musik: „Geh doch mal ins Kino, da verfliegt die Wut“, Manfred Krug aus AUF DER SONNENSEITE, Ralf Kirsten DDR 1961

Sprecher über Musik

Überlebt hat keines der westberliner Grenzkinos. Immerhin eröffneten nach dem Bau der Mauer mit dem INTERNATIONAL und dem KOSMOS gleich zwei Kinos, die zumindest technisch mit den besten Westberliner Kinos mithalten konnten und im Kino lief einer der ersten DEFA-Schlagerfilme an, AUF DER SONNENSEITE mit Manfred Krug. Der Kampf der Systeme wurde fortgesetzt – auch im Kino.