Wie die SED die DDR vor der Realität rettete

ein Kurzfeature von Nicolaus Schröder | DLF 2005

Das SED-Politbüro,1968 © Bundesarchiv

„Ich bin der Meinung, Genossen, mit der Monotonie des »Yeah, Yeah, Yeah«, und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen. (…) Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?“ 1965 versteht Walter Ulbricht die Welt nicht mehr. Doch die Empörung über die Beatmusik, die der Staats- und Parteichef 1965 auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED umtreibt, ist gespielt. Eigentlich sollen Wirtschaftsthemen auf der Tagung besprochen werden. Die Lage ist ernst, die angeschobenen Reformen greifen nicht wie erhofft. Die Diskussion zum Zustand der Kultur in der DDR wird zum gesuchten Ersatzthema. Sündenböcke werden gebraucht und Erich Honecker, der Berichterstatter des Politbüros, liefert sie umgehend.

Überall Verfall und Konterrevolution, Erich Honecker: „Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitten.“ Musik, bildende Kunst, Literatur und Film – kein Bereich wird ausgenommen. Zersetzend ist die Kunst und die Partei ist aufgerufen, dem Treiben der Künstler ein Ende zu setzen. Allein die Schriftstellerin Christa Wolf wagt in einer von höhnenden Zwischenrufen unterbrochenen Rede den Widerspruch. Ohne Erfolg.

In der Kulturpolitik der DDR löste das 11. Plenum des ZK der SED tatsächlich einen Kahlschlag aus, von dem sich Film und Literatur nie wieder vollständig erholten. Doch in anderen Bereichen, in der Musik, Lyrik, bildenden Kunst sieht das ganz anders aus. Hier markieren die Beschlüsse vom Dezember 1965 den finalen Bruch. Hier setzte eine Entwicklung ein, die sich dem Einfluss der Partei immer stärker entzog.

In der Kunst, in Malerei, Bildhauerei, Musik, selbst auf der Bühne lebten gegenkultureller Geist, Lust an der Provokation und ironische Distanz auf: A.R. Penck, Lutz Dammbeck, Elke Erb, Frank Castorf, Rammstein, Connie Bauer. Die Gegenkultur wurde wesentlicher Bestandteil einer Dynamik, die am Ende den Staat DDR wegfegte.

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